Kritiken zu “All die vielen Toten”

Die Kritik aus der Badischen Zeitung vom 26. Juni 2020  über “All die vielen Toten” von Manfred Klimanski lesen Sie hier.

Einmal Elitesoldat, immer Elitesoldat

Da hatte der Autor einen guten Riecher. Manfred Klimansiks Roman kommt zu eben jenem Zeitpunkt heraus, da das Kommando Spezialstreitkräfte (KSK) in die Schlagzeilen geriet. Sein Thriller handelt vom ehemaligen KSK-Unteroffizier Johannes „Giovanni“ Scoferino, der in der fiktiven Großstadt Ostratal eine Spielothek mit angehängter Sportsbar samt Restaurant betreibt. Er gerät in das Blickfeld einer Bande von Schutzgelderpressern. Scoferino zahlt nicht. Einer der Erpresser wird tot aufgefunden. Scoferino wird verdächtigt. Aber er hat beim KSK nicht nur das lautlose Töten gelernt, sondern auch das Vertuschen. Kommt er damit durch?

Am 24. Juni 2020 widmete die Süddeutsche Zeitung ihre prominente Seite 3 dem KSK. Sie titelte: „Härtetest. Das Kommando Spezialkräfte sollte die Elitetruppe der Bundeswehr sein. Das ist schiefgegangen. Über Rechtsextreme, Korpsgeist und Schweineköpfe“. Ein Team von vier sachkundigen Redakteuren – Joachim Käppner, Georg Mascolo, Ronen Steinke, Mike Szymanski – recherchierte den neuesten Stand des Wissens über die Spezialeinheit, die im württembergischen Calw stationiert ist und außerhalb der normalen Kommandostruktur der Bundeswehr steht. Es handelt sich um eine geheimnisumwitterte und durch eine ganze Reihe rechtsradikaler Vorkommnisse aufgefallene Truppe. Die 1000 Soldaten dieses militärischen Verbandes haben die denkbar härteste Ausbildung hinter sich. Ihre Angehörigen verbindet ein ungewöhnlich stark ausgeprägter Korpsgeist und ein Schweigegebot, was ihre Einsätze und alles Übrige angeht.

Daher war es ein außergewöhnlicher Vorgang, dass sich ein Hauptmann des KSK jetzt, im Juni 2020, als Whistleblower betätigte und der Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer (CDU) einen langen und mutigen Brief schrieb, in dem er aus dem Nähkästchen plauderte und von rechtsradikalen Strukturen sprach. In der Haut dieses Offiziers möchte ich nicht stecken! Denn ich kann mir die Reaktion der verschworenen „Kameraden“ lebhaft vorstellen.

Seit mehr als einem Jahrzehnt gab es immer wieder Hinweise auf rechtsradikale Vorfälle in diesem Spezialverband. Jetzt hat sich so viel explosives Material über das KSK angesammelt, dass etliche Politiker und Medienleute schon die Frage stellen, ob diese Truppe überhaupt noch unter Kontrolle gebracht werden kann oder aufgelöst werden muss.

In Klimanskis Roman wird kenntnisreich beschrieben, dass man als KSK-Mann auch nach der Entlassung aus dem aktiven Dienstverhältnis mental immer noch Elitesoldat bleibt, der sich den Ritualen und Geboten verpflichtet weiß. Seine Figur „Scoferino“ steht für dieses Muster. „All die vielen Toten“ – ist dieser Titel nicht reichlich überzogen? Wer weiß! Nicht einmal die Mitglieder des Verteidigungsausschusses in Berlin sind in vollem Umfang über die Einsätze des KSK und deren Opfer informiert. Es ist gesagt worden, diese Elitesoldaten hätten in ihren Geheimoperationen weltweit mehr Menschen getötet als die gesamte Bundeswehr zusammen. Wir verfügen über keine genauen Informationen, nur über geheimnisvolle Andeutungen über „extralegale Tötungen“. Das aber ist in einem demokratischen Regierungssystem nicht hinnehmbar!

Manfred Klimanskis Thriller führt die Leser ganz nebenbei in die gefährliche Welt dieser Elitesoldaten ein. Er lässt aktive KSKler auftreten, aber auch ehemalige, die sich an zivile Normen nicht gewöhnen können. Seine Figur Scoferino zählt auch Mord und Terrorakte zu seinen Kommunikationsmitteln

Wolfram Wette, Waldkirch